Nach dem samstäglichen unerwarteten Abbruch der Hintergrat-Tour auf den Ortler war ich während der Heimreise offen gestanden einigermaßen frustriert. Eingestellt auf gute Höhenluft und top Wetter musste ich die Heimreise antreten. Sollte ich doch umdrehen und zum Hintergrat zurück? Gäbe es eine andere, reizvolle Möglichkeit? Was tun? Am Reschenpass nahm mir der Wegweiser „Langtauferer Tal“ die Entscheidung endlich ab. Nach kurzer Recherche war klar, dass meine beiden AV-Gäste ab Nauders auch mit dem Bus nach Landeck zum Bahnhof kommen würden. Also genossen wir noch einen gemeinsamen Abschluss-Kaffee, verabschiedeten uns und ich machte mich auf den Weg ins angesprochene Tal. Geparkt wird am Ende der Straße in einer Siedlung („Ort“ wäre wohl übertrieben) namens „Melag“. Das Ziel für Sonntag sollte die Gegend um die Weißkugel werden…
Samstag – Weißkugelhütte
Am Parkplatz wird der Rucksack auf ein Neues gepackt und ich mache mich frohen Mutes auf den Weg rauf zur Weißkugelhütte. Am Beginn des Weges treffe ich einen sympathischen Einheimischen, den ich nach der Gehzeit frage. Ich meine 1:30 Std., er meint, dass das sehr ambitioniert wäre – aber evtl. möglich. Wenig später passiere ich einen Wegweiser, der 2:20 angibt. Nach insgesamt 1:20 (lt. GPS-Track bin ich nochmals zum Parkplatz zurück – daher 3 Min länger;-) erreiche ich mit gut gefülltem Rucksack (Gletscherausrüstung, 50m Halbseil, kompletter Schlosserei, Helm, Notfallset, …) die Hütte. Meine Sorge, zu spät zum Abendessen zu kommen verflüchtigen sich schnell, denn diniert wird gemeinsam um 19:00. Wie der Zufall so will treffe ich auf eine sehr nette, bunt zusammen gewürfelte 5-er Partie aus dem süddeutschen Raum, zu denen ich mich gesellen darf. Der Abend wird dank Gitarre und viel Humor sehr lustig und das Essen sowie der Vino schmecken – wie immer auf den südtiroler Hütten – ausgezeichnet.
Sonntag – Weißkugel
Sonntagmorgen läutet der Wecker um kurz vor 5. Im Frühstücksraum treffe ich auf die nördlichen Kollegen, die sich gerade zum Weggehen fertig machen. Gemütlich packe ich mich zusammen und mache mich gut eine halbe Stunde später ohne Stirnlampe ebenfalls auf den Weg. Sportlichen Schrittes geht’s einfach zum Ausläufer des Gletschers, wo ich auf die 5 Freunde treffe, die sich gerade Gletscher-ready machen. Nun ja, was soll ich sagen, im aperen Teil klappt’s meines Erachtens auch gut ohne Eisen und Seil. Ein gutes Stück weiter vorne spurt eine 3er Gruppe, die wohl lange vor uns vom Tal aus gestartet sind und nun das Spuren übernehmen. Eigentlich darf man ja nicht meckern, aber in diesem Fall haben die lieben Leute die Spur etwas über“ambitioniert“ gelegt: Im mittleren Teil des ersten Aufschwungs geht’s noch ganz gut und sicher, aber sie spuren zu weit in der Mitte und geraten mitten in die Spaltenzone. Am Seil ist das ja noch irgendwie vertretbar, aber das hier ist definitiv der falsche Ort um alleine unterwegs zu sein. Vor einer hauchdünnen Schneebrücke über eine bodenlose (zumindest sehe ich keinen) Spalte ist dann Endegelände. Glücklicherweise sind die lustigen Bayern nicht weit unten, also wird ruckzuck die Blase entleert und das Gletscherequipment aufmunitioniert. Auf mein charmantes Nachfragen hin darf ich mich ans Seil der Truppe hängen und werde (wie sich später herausstellt) mit diesen gemeinsam den restlichen Tag verbringen.
Wir folgen der Spur unserer fleißigen Späher und entschließen uns dazu, es ihnen gleich zu tun und über den Nordgrat aufzusteigen. Das Wetter ist heute spitzenmäßig, die Verhältnisse könnten besser nicht sein und so stapfen wir gemütlich zum nächstgelegenen Joch, ab welchem das Gelände ein wenig anspruchsvoller wird. Früher wurde der Nordgrat wohl auch ab weiter unten gemacht – aufgrund der Ausaperung startet man heute auf über 3.000m Seehöhe. Der Nordgrat selbst ist ein Ier – oftmals leichter, selten schwerer (IIer Stellen) und steilt teilweise auf über 40 Grad auf. Ernsthaftes Sichern ist mangels Sicherungspunkte de facto nicht möglich und auch nicht wirklich notwendig – sofern einem etwas Ausgesetztheit nicht weiter zusetzt. Wir kommen gut voran und erreichen am späten Vormittag glücklich das Gipfelkreuz der Weißkugel auf über 3.700m Seehöhe. Endlich wieder einmal so hoch oben! :-)
Nachdem sich die Sonne von ihrer besten und wärmsten Seite zeigt (wird ja auch mal Zeit!) entschließen wir uns für die Überschreitung und den Abstieg via Normalweg. Zu unserer Überraschung sehen wir 2 wagemutige Skifahrer, die sich vor uns (nicht über die Normalroute) die Wand runter lassen (inkl. leichtem Überspringen zweier Kluften mitten im Hang). Ich möchte betonen, dass wir Mitte September haben…
Der Abstieg gestaltet sich problemlos und ist eine wahr Wohltat. Nur im Tanktop und mit reichlich Sunblocker auf der Haut spazieren wir am Seil zurück Richtung Hütte. Die Spaltenzone umgehen wir großräumig – ich gehe davon aus, dass die anfangs erwähnte Schneebrücke mittlerweile bei Belastung mit einem Blatt Papier zusammen brechen würde. Nach einem abschließenden Cappucino auf der Hüttenterrasse machen wir uns an den Abstieg und erreichen am späten Nachmittag (die Sonne scheint immer noch reichlich) den Parkplatz in Melag.
Fazit
Unverhofft kommt oft. Nach dem unglücklichen Ende der Ortler-Tour bin ich heilfroh mich spontan für den Aufstieg zur Weißkugelhütte (die übrigens eigentlich seit 2013 umgebaut werden sollte, was eine Schande wäre!) entschieden zu haben. Der glückliche Zufall hat mich dort mit besagter & illustrer Truppe zusammen geführt, dank derer die Tour überhaupt möglich war. Offen gestanden hatte ich nach meiner Erfahrung auf der Hütte 1 Monat zuvor darauf spekuliert, auch alleine auf die Weißkugel zu können. Bei den aktuellen Bedingungen sollte das dringend vermieden werden, denn die „kleinen“ Spalten sind allesamt leicht eingeschneit. Sprich: nicht zu sehen, aber im Abstieg wohl zu „spüren“. Prinzipiell ein nicht zu vertretendes Risiko wie ich finde. Ich hätte auch nicht damit gerechnet, die Weißkugel zu überschreiten und finde es umso lässiger, dass wir das machen konnten. Alles in allem eine super Tour, die Gegend ist sowieso grandios und ich freue mich über die neuen Bergbekanntschaften – Wiedersehen ist garantiert…
GPS Track Tag1:
GPS Track Tag2:
Hinterlasse einen Kommentar